Pilzliebe.
Aus Lünepedia
Das Projekt pilzliebe. ist ein studentisches Start-Up, das einen Beitrag zur regionalen, klimapositven, urbanen Landwirtschaft leisten möchte und sich am Cradle to Cradle Prinzip orientiert. In Kooperationen mit diversen Lüneburger Cafés wird im Museum Zukunft Kaffeesatz upgecycelt, indem er als Substrat für die Zucht von Speisepilzen verwendet wird. Anschließend werden die Pilze an die lokale Gastronomie verkauft. Neben der Pilzzucht wird Bildungsarbeit geleistet, um das Potential von Pilzen und Myzel Biomaterial zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung aufzuzeigen. 2019 ist das Projekt aus der Lüneburger Cradle to Cradle Regionalgruppe heraus von Johanna Liebmann und Caroline Gebert entwickelt worden, die dort ehrenamtlich aktiv sind. Im Frühjahr 2020 folgte eine GbR Gründung und eine Crowdfunding Kampagne auf der Plattform Startnext, die den Projektstart ermöglichte.
Urbane Pilzzucht: Das Konzept
Einige Pilzarten sind in der Lage, Kaffeesatz zu verstoffwechseln und auf dessen Grundlage Fruchtkörper zu bilden. Liebmann und Gebert schlossen lose Kooperationen mit diversen Lüneburger Cafés, bspw. dem Bell & Beans, dem Chandlers, dem Zeitgeist und vielen weiteren, bei dem der frische Kaffeesatz des jeweiligen Tages abgeholt wurde. Der vermeintliche Abfallstoff wird als Basis bzw. Rohstoff für die Pilzzucht im Museum Zukunft verwendet: der Kaffeesatz wird mit Myzel versetzt, das von PilzWald bezogen wurde. Das Myzel ist der eigentliche Pilz: den Fruchtkörper, der bei vielen Arten zum Verzehr geeignet ist, ist "nur" das Reproduktionsorgan, in dem sich die Sporen bilden. Der Fruchtkörper verhält sich zum Myzel vergleichsweise wie ein Apfel zum Apfelbaum. Das Myzel ist ein unterirdisches Geflecht, das weiterhin den Informations- und Stoffaustausch in Ökosystemen ermöglicht. Die Pilzzucht lässt sich in zwei Phasen unterteilen: in der ersten Myzelphase, die circa 2-3 Wochen dauert, durchwächst der Pilz das Substrat, in diesem Fall den Kaffeesatz. Darauf folgt die Fruchtungsphase, in der sich die Fruchtkörper bilden. Da Pilze als Reich für sich nicht wie Pflanzen Photosynthese, sondern Zellatmung betreiben, sind sie nicht auf Sonnenlicht angewiesen. Das ermöglicht die Bereitstellung von Lebensmitteln in der Stadt. Indoor bzw. in Kellern kann ungenutzte Fläche verwendet werden, vertikal, ohne landwirtschaftliche Nutzungsfläche zu verbrauchen. Weiterhin experimentierte pilzliebe. mit Biertreber von der Sommerbecker Dachsbrauerei als Substrat. Die Pilzarten, die gezüchtet wurden, sind Rosenseitlinge, Zitronenseitlinge und Austernpilze. Diese wurden verkauft an die lokale Gastronomie, bspw. dem FRIEDAs am Wasserturm.
Bildungsarbeit bei pilzliebe.
Neben der Pilzzucht leistet pilzliebe. Bildungsarbeit, indem das vielfältige Potential von Pilzen in Workshops und Bildungsveranstaltungen allen Interessierten nähergebracht wird. Motivation hinter der Bildungsarbeit ist das Teilen von lösungsorientiertem Wissen. Nicht nur nachhaltigkeitsbezogene Probleme sollen kommunizieren werden, sondern konkrete Lösungen werden am Beispiel von Pilzen und Myzel aufgezeigt. 2020 präsentierten Liebmann und Gebert Wissenswertes zur Thematik beim JANUN Food Science Slam an der Leuphana Universität Lüneburg, waren Programmpunkt bei der Konferenz zur urbanen Landwirtschaft an der Leuphana und besuchten Schulen in der Region. Weiterhin engagierten sie sich auf dem Cradle to Cradle Kongress 2020 in Berlin und wurden zu Interviews, Radio- und Podcastaufnahemn eingeladen. Eigenorganisierte Workshops zur DIY-Pilzzucht oder zum Kombucha-Brauen stießen auf reges Interesse. Die Bildungsarbeit wurde durch die Corona-Pandemie eingeschränkt, jedoch auf digitalem Wege fortgeführt. So wird regelmäßig auf Instagram im sogenannten Mushroom Monday Quiz Wissen und Fakten aus dem Reich der Pilze präsentiert. Auch wurden Workshop Formate so angepasst, dass sie mit Hygiene Maßnahmen vereinbart wurden.
Als Biomaterial ist Myzel nämlich in diversen Anwendungsbereichen einsetzbar. Beispiele für die Nutzung von Myzel ist als Dämmmaterial, Styropor, Leder oder Schuhsohlen. Es zeigt eine Reihe an ökologischen Vorteilen gegenüber üblichen Materialien:
Dämmmaterial
in der Baubranche fallen generell viele schädliche Abfälle an, so auch Dämmmaterial. Selbst sogenannte ökologische Alternativen aus Pflanzenfasern werden oft mit Chemie behandelt, unter hohem Energieaufwand zusammengepresst und haben lange Transportwege hinter sich. Dämmstoff aus Myzel hat sehr gute Eigenschaften hinsichtlich Flammenresistenz, Wasserfestigkeit und Dämmfähigkeit. Da es biologisch abbaubar ist, wird es nicht zu Müll. Weiterhin wächst es mit geringem Energieaufwand und kann auf vielen agrarischen Abfällen angebaut werden.
Styropor
Styropor bzw. Polystyrol wird für Verpackungen verwendet, weil es sehr leicht ist und zerbrechliche Gegenstände schützen kann. Es wird aus der endlichen Ressource Erdöl hergestellt und braucht viele Jahre um sich abzubauen. Verpackungen aus Myzel hingegen sind in kurzer Zeit biologisch abbaubar und richten in der Umwelt keinen Schaden an. Es handelt sich um einen schnell nachwachsenden Rohstoff, der auf Abfällen der Agrarindustrie innerhalb von 9 Tagen wachsen kann.
Leder
Leder ist aus vielen Perspektiven als problematisch zu betrachten. Bei der Viehzucht wird Methan freigesetzt und viel Futtermittel sowie Wasser verbraucht. Das Gerben von Leder werden toxische Stoffe wie Chrom verwendet, die für Menschen und Umwelt schädlich sind. Weiterhin ist es aus einer tierethischen Perspektive kritisch zu reflektieren. Pilzleder hingegen ist biologisch abbaubar, wächst innerhalb von zwei Wochen anstelle vieler Jahre, die eine ineffiziente "normale" Lederproduktion benötigt. Es kommt ohne toxische Zusatzstoffe aus und bindet Kohlenstoffdioxid. Auch gestalterisch ist es überlegen, da es in beliegigen Größen, Formen und Texturen wachsen kann während die Eigenschaften und der Tragekomfort vergleichbar ist zu Kuhleder.
Das Cradle to Cradle Prinzip als Vorbild
Das Designkonzept
Das Cradle-to-Cradle-Konzept wurde von Michael Braungart und William McDonough entwickelt. Es bietet eine Alternative zum etablierten linearen Wirtschaftsmodell, bei dem Ressourcen unnachhaltig abgebaut, daraus Produkte hergestellt, die der menschlichen Gesundheit oftmals nicht zuträglich sind und bereits bei ihrem Design festgelegt wird, dass sie nach ihrer Nutzung schlussendlich zu Müll werden. Dadurch wird die Verknappung von Ressourcen verschärft, während das Müllaufkommen steigt. Statt nach „Cradle to Grave“ (von der Wiege zur Bahre, "take, make, waste") zu wirtschaften, möchte Cradle to Cradle (von der Wiege zur Wiege) Produkte so designen, dass sie kreislauffähig sind, um die genannten Probleme zu überwinden. Verwendete Materialien werden positiv definiert: statt anzugeben, welche negativen Inhaltsstoffe nicht enthalten sind, werden Komponenten gewählt, die unbedenklich und gesund sind. Somit grenzt sich Cradle to Cradle auch von Ansätzen im Nachhaltigkeitsdiskurs ab, die nur auf Suffizienz oder Effizienz basieren, da diese die Probleme nur verringern, aber die Wirtschaftsweise nicht radikal bzw. zum positiven ändern. So grenzt sich Cradle to Cradle auch vom Recycling ab, das häufig mit einem Wertverlust eingeht. Materialien werden zwar wiederverwendet, aber werden schließlich doch zu Müll durch Abnutzung, wobei Cradle to Cradle für Upcycling plädiert.
Das Designkonzept fußt auf drei Prinzipien:
1) Abfall ist Nährstoff
Die Natur wird als Vorbild genommen, dort gibt es keinen Müll, jeder Stoff kann wieder in einen Kreislauf eingehen. Nach Cradle to Cradle ist Müll somit nur ein Designfehler. Schon beim Entwurf eines Produktes soll beachten werden, was nach der Nutzung geschieht, damit wertvolle Ressourcen nicht verloren gehen. Cradle to Cradle-Produkte werden nach ihrer Nutzung nicht zu Müll, sondern werden als Abfall betrachtet, der Nährstoff für neue Materialkreisläufe sein kann. Dabei werden zwei Kreisläufe unterschieden: Der biologische Kreislauf ist für Verbrauchsprodukte, die sich abnutzen können, also in die Umwelt gelangen. Nach der Nutzung eines Produkts, zum Beispiel eines T-Shirts, sollte dieses biologisch abbaubar sein. Bei der Kompostierung wird so biologischer Nährstoff freigesetzt, der anderen Kreisläufen zur Verfügung steht. Im Falle des T-Shirts könnte dieser "Abfall" Nährstoff für den Anbau von Baumwolle sein, aus dem neue Shirts hergestellt werden. Ein anderes Beispiel ist der Abrieb von Autoreifen, der sich in der Umwelt ansammelt. Wenn dieser in die Umwelt gelangt, sollte er biologisch abbaubar sein, ohne sie zu belasten. Ein C2C-Autoreifen würde also keinen schädlichen Müll, sondern unbedenklichen Nährstoff erzeugen.
Im technischen Kreislauf zirkulieren Gebrauchsprodukte, die sich nicht abnutzen, sondern nach ihrer Verwendung in ihre Einzelkomponenten auseinandernehmbar sein sollen. In diesem Kreislauf sind elektronische Geräte wie beispielsweise eine Waschmaschine zu verorten. Firmen sollten nach dem Leasingprinzip anbieten, die Benutzung und nicht den Besitz des Geräts an sich zu verkaufen. Verbrauchende haben im Endeffekt kein Interesse an der materiellen Waschmaschine, sondern an ihrer Dienstleistung, nämlich sauberer Wäsche. So könnte eine Firma 5.000 Waschgänge verkaufen, die Waschmaschine zur Verfügung stellen und nach der vereinbarten Dienstleistung (oder wenn die Waschmaschine nicht mehr gewollt oder funktionstüchtig ist) sie zurücknehmen. Nach der Rücknahme kann bei einer C2C-designten Waschmaschine eine Demontage erfolgen. Ihre Materialien und Komponenten dürfen nicht verklebt sein, damit kein technischer Nährstoff verloren geht, sondern in neuen Produktzyklen verwendet werden kann.
2) Erneuerbare Energien
Zur Herstellung von kreislauffähigen, intelligenten und innovativen Produkten werden erneuerbare Energien genutzt, statt endliche Energieressourcen zu verbrauchen. Die Sonne, und damit auch der Wind und die Gezeiten, ist der Motor aller natürlichen Prozesse, und ist auch für kommende Generationen eine zuverlässliche Energiequelle.
3) Vielfalt feiern
Bei der Konzeption von Produkten und der Überwindung von komplexen Nachhaltigkeitsproblemen sieht Cradle to Cradle vor, eine Vielzahl an Ideen, Ansätzen, Meinungen, Gewohnheiten und Materialien in Betracht zu ziehen. Dabei dient die Natur als Vorbild, da komplexe, artenreiche Ökosysteme generell resilienter gegenüber Störungen sind als Monokulturen. Die biologische und kulturelle Vielfalt soll gewertschätzt und sinnvoll genutzt werden.
Die Denkschule
Cradle to Cradle vermittelt ein positives Menschenbild, bei der der Mensch nicht pauschal als Schädling, sondern potentieller Nützling und als Teil der Umwelt betrachtet wird. Das angestrebte Ziel ist nicht nur, die negativen Auswirkungen zu reduzieren, die menschliches Handeln und Wirtschaften auf die Umwelt haben. Der negative ökologische Fußabdruck soll nicht nur verringert werden, sondern ein möglichst großer positiver Fußabdruck soll hinterlassen werden - es wird also keine Klimaneutralität, sondern Klimapositivität angestrebt. Anstelle von Öko-Effizienz(umweltschädliche Praktiken und Produkte nur effizienter machen) soll Öko-Effektivität rücken.
Weiterführende Informationen
Auf der offiziellen Website des Projekts und des Museums Zukunfts lassen sich aktuelle Informationen einsehen.